Dieser Text wurde aus der Festschrift: „50 Jahre Volksmusik im Bayerischen Rundfunk 1928 – 1978“ entnommen.
„Seit langem geht das Rad der Zeit nicht mehr den altgewohnten Gang. Seine Umdrehung beschleunigt sich von Tag zu Tag mit einem Tempo, das sich mehr und mehr der Kontrolle entzieht. Was heute als neu, überraschend oder bestürzend gilt, ist morgen veraltet, kaum der Rede wert oder vergessen. Was kann in solchem Wirbel, in dem beängstigenden Mahlstrom des Geschehens rings um uns schon das Volkslied, die Volksmusik bedeuten? – Der wörtlichen Aussage mancher Volkslieder sind entscheidende Voraussetzungen abhanden gekommen: Wo ist der junge Bursch, der voll Übermut und Tatendrang noch singen mochte „I bin a lustiger Wildschütz“? – Wo der Fuhrmann, der die Goaßl schwingt und „Wüst-a-ha-ho“ schreit? – Wo die Mäher, die bei der Arbeit am Berghang drei-, vier- oder fünfstimmig den „Hore-Jodler“ singen? Trotzdem, unser Volkslied in Bayern und Österreich wird weiterleben! – Sind die höfischen Feste des 17. und 18. Jahrhunderts nicht längst verrauscht, das ihnen zugrundeliegende, subtile Zeremoniell gegenstandslos geworden? Und doch, die Klänge der Feuerwerks- oder Wassermusik von Händel, Mozarts Serenaden sind wertbeständig geblieben. Daß viele Themen aus Volkslied und Volkstanz in das Schaffen Haydns, Mozarts, in Werke von Beethoven, Schubert, Bruckner und Brahms eingegangen sind, das hat uns Kurt Huber eindringlich gezeigt. Die Mehrzahl unserer bairischen, fränkischen und schwäbischen Weisen sind gleichfalls wertbeständige musikalische Währung. Es sind nicht nur geistliche Volkslieder, die Minuten der Besinnung bewirken. Viele scheinbar weltliche Volkslieder – vor allem die altüberlieferten, kultischen Jodler lassen ahnen, wo Gott wohnt. Es war nicht nur Ludwig Steub, der im almerischen und jagerischen Leben homerische Züge, Spuren der Unvergänglichkeit entdeckte. Das Erbe, das wir angetreten haben, ist nicht Teilstück eines Musik-Museums, sondern musikalisches Gegenwarts-Erlebnis, das auch in Zukunft Bestand haben wird. ´Es herrscht eine allgemeine Not, der man das im Gemüt gereinigte Wirkliche entgegenstellen muß´, schrieb Hugo von Hofmannsthal an Carl J. Burckhardt. Die Aufgabe hat die Volksmusik im Bayerischen Rundfunk vor einem halben Jahrhundert übernommen. Sie wird sie weiter erfüllen.“